Fabrikkirche
Ende Juli 2020 wurde das Projekt reformierte Fabrikkirche beendet. Nachstehend aus dem Schreiben des Vorstandes der Fabrikkirche:
Wir bedauern diesen Entscheid sehr, denn für uns war es nicht nur ein Projekt, sondern eine Herzensangelegenheit, ein Ort der Begegnung und des Austausches. Gerne denken wir an die letzten Veranstaltungen zurück, zu denen zahlreiche Interessierte den Weg in die Akazie fanden und das Zusammensein genossen. An dieser Stelle bedanken wir uns bei all unseren Gästen und Besuchern!
Wir möchten euch unsere Geschichte erzählen und die Erfahrungen mit euch teilen.
Im Jahr 2003 wurden der Zürcher Pfarrer Matthias Girgis sowie der Jugendsozialarbeiter Nik Gugger, von der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, mit dem Aufbau einer Jugendkirche für die Stadt Winterthur beauftragt. Im Zentrum des neuen Projektes standen damals moderne Gottesdienstformen, welche Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen sollten. Die Veranstaltungen fanden in den ersten Jahren in unterschiedlichen Lokalitäten mit Event-Charakter statt.
Im Jahr 2007 zog das Jugendprojekt in eine ehemalige Fabrikhalle im Sulzer-Areal ein, was dem Projekt den Namen Fabrikkirche verlieh. Neben dem neuen Veranstaltungsort wurde in der Halle auch ein Mittagsbistro betrieben. Durch das Mittagsangebot wurden Arbeitsintegrationsplätze geschaffen, welche nach und nach auch auf das Büro mit einem Büroservice ausgeweitet wurde. Menschen in verschiedenen, teils schwierigen Lebenslagen, fanden eine Struktur und lernten wieder Fuss zu fassen.
Die Fabrikkirche etablierte sich ab 2010 als ein fester Bestand der kirchlichen Angebote in Winterthur. Das ursprüngliche Jugendprojekt wurde dem reformierten Stadtverband Winterthur angeschlossen.
2013 kam es zum Umbruch. Das Mittagsbistro wurde eigestellt und die Fabrikkirche nur noch als Veranstaltungsort genutzt. Im Februar 2017 musste die Halle einem Neubauprojektes weichen.
Die Fabrikkirche war heimatlos und machte sich auf die Suche nach einer neuen ‘Bleibe’. Fündig wurde sie noch im gleichen Jahr im Zentrum von Winterthur im Restaurant Akazie. Ende Oktober 2017 eröffnete die ref. Fabrikkirche dort ihre Tore. Es wurde wieder ein Mittagsbistro geführt und neue Veranstaltungen kreiert und lanciert. Das Arbeitsintegrationsprojekt konnte sowohl in der Akazie als auch im Büro fortgeführt werden.
Im Frühling 2018 entschied sich der langjährige Leiter der Fabrikkirche, Nik Gugger, das Projekt zu verlassen. Kurzfristig sprang Renato Pfeffer als „Leiter ad Interim“ ein, er hielt das Projekt mit dem Team für die nächsten Monate am Laufen. Im August 2018 übernahm Isabelle Schär als Pfarrerin die theologische Leitung und erweckte die Fabrikkirche mit vielen verschiedenen Veranstaltungen zu neuem Leben. Kurz nach ihr trat Pfarrerin Andrea Weinhold als Visionärin ihr Amt an. Sie kreierte viele neue Ideen und Konzepte für die ref. Fabrikkirche. Gleichzeitig wurde in der Akazie der Mittagsservice auf den Abend ausgeweitet. Ein neuer Koch und eine zusätzliche Servicekraft stiessen zum Team.
Durch die verschiedenen thematischen und kulinarischen Angebote trafen Interessierte und Gäste unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft zusammen. Ob im Glauben verwurzelt oder kirchlich distanziert, ob agnostisch, atheistisch oder auf der Suche – in der Fabrikkirche waren alle willkommen. Im Interesse des Teams stand das offene und authentische Diskutieren über religiöse, gesellschaftliche und ethische Fragen – was durch die verschiedenen Veranstaltungen in der Akazie angeboten wurde.
Jeder fand in der Akazie ein Plätzchen, ob nur zum Essen und Trinken, oder einfach um mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Um auch die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten durchmischen zu können, starteten wir im Dezember 2018 das Solidaritätsexperiment - „Iss was Du magsch - zahl was Du chasch!“. Die Fixpreise fürs Essen wurden abgeschafft, denn bei uns im Restaurant Akazie sollen alle essen können. Die Solidarität unserer Gäste war so gut, dass wir Ende März 2019 beschlossen, das Experiment als Solidaritätsprojekt fortzuführen.
Andrea Weinhold wollte auch einen mobilen Ort der Begegnung schaffen, um Menschen zu erreichen, die sich nicht in unser Restaurant Akazie getrauten. Deshalb suchte sie einen Bus und wurde schnell fündig. Im April 2019 kam der Kafi-Bus, ein alter umgebauter VW-Bus, zum Programm der Fabrikkirche hinzu. Fast gleichzeitig musste uns Andrea Weinhold die bittere Nachricht mitteilen, dass sie uns, aus ernsthaften gesundheitlichen Gründen, nach 10 Monaten verlassen muss. Mit Ihr verabschiedete sich – wie geplant - auch Renato Pfeffer, um sich seiner praktischen Ausbildung zum Pfarrer zu widmen.
Wie weiter? Unser Team stand bereits im Sommer 2019 wieder vor dem Ungewissen. Isabelle Schär, bisherige theologische Verantwortliche, und Marie-Lena Sczepek, bisherige Büro-Verantwortliche, übernahmen daraufhin die Leitung der reformierten Fabrikkirche.
Die Beiden begannen umgehend mit der Aufarbeitung der vergangenen Jahre. Dies förderte einiges ans Tageslicht, so auch die eher schwierige, wirtschaftliche Situation der ref. Fabrikkirche. Relativ schnell wurde klar, dass der Abendservice nicht weiter tragbar war.
Wo mittags unsere Gäste das Solidaritätsprojekt schätzten, fanden abends kaum Menschen den Weg zum Znacht in die Akazie. Das bewog uns Ende November 2019 den Abendservice aufzugeben. Zum gleichen Zeitpunkt traf uns dann auch die folgenschwere Entscheidung der ref. Landeskirche: In einer knappen Abstimmung mit 48 zu 50 Stimmen entschied die Synode, uns den Unterstützungsbeitrag für 2019 zu halbieren und für das Jahr 2020 ganz zu streichen.
Die fehlende finanzielle Unterstützung und die wirtschaftliche Lage der Akazie zwangen uns zum schweren Entscheid, das Restaurant zu schliessen und das Projekt Fabrikkirche Ende Juli 2020 zu beenden.
Wir freuen uns über all die wundervollen und bereichernden Erlebnisse und Erfahrungen, die wir machen durften. Wir hoffen, dass diese Begegnungen an einem anderen Ort in Winterthur weitergeführt werden.
„In jedem Ende liegt ein neuer Anfang.“
Jahresbericht 2020